Von Schlampen und Kackfässern


Wer kam eigentlich auf die selten dämliche Idee, nach neun noch Kaffee trinken zu wollen?! ...nunja...das war dann wohl ich selbst. Einmal mehr nicht in der Lage, auch nur drei Meter weiter zu denken - aber das ist eine andere Geschichte. Jedenfalls liege ich hier jetzt seit zwölf wach und habe noch keine einzige Minute geschlafen. Von links nach rechts gewälzt, auf den Bauch, auf den Rücken...in Endlosschleife. Die Katzen haben sich mittlerweile vor lauter Genervtsein auch schon verzogen und haben mich keines Blickes mehr gewürdigt als sie abgezockelt sind. ...Und es ist auch noch Vollmond. Kaffee nach neun und Vollmond - ein unschlagbares Team - ähnlich sympathisch wie eine zum Bersten gefüllte Blase und eine gesperrte Autobahn. Warum entfaltet Kaffee bei mir eigentlich immer nur die ihm nachgesagte Wirkung, wenn ich diese gerade nicht gebrauchen kann...?!
Jedenfalls ist es mittlerweile so circa vier Uhr und die Vögel fangen schon langsam an, sich gegenseitig zu wecken. Irgendwie schon recht idyllisch.…und vielleicht kann ich mit dem leichten Gezwitscher im Hintergrund ja nun doch endlich…aber tatsächlich meint gerade jetzt jemand, sein Kackfass direkt unter meinem auf Kipp geöffneten Fenster parken zu müssen und den Motor laufen zu lassen. Gefühlt seit MINDESTENS zwanzig Minuten. Naja, wahrscheinlich real eher fünf. Aber egal, so ne asoziale Scheiße muss frühmorgens echt nicht sein. Ich spüre, wie dünne Adern in meinen Augen platzen. Mit kleinen, putzigen Soundeffekten (Pling, pling, pling, usw.), die sich mehr oder weniger harmonisch in das Vogelgezwitscher einreihen.
Hätte ich früher einfach das Fenster geschlossen (aber so richtig LAUT - sollen die da draußen mal sehen, mit WEM sie's sich hier jetzt verscherzen!!!…), sehe ich das jetzt so gar nicht mehr ein. In Gedanken beginne ich, das gleich Geschehende schon mal durchzuspielen, da schlägt eine Autotür zu. Daraufhin ein versoffenes „Schlampe - ich steig nicht mehr ein.“ Das Gegenüber:„Selber Schlampe….dann hau doch ab und lauf nach Hause“
„GENAU, SCHLAMPE! Aber dann HAU doch auch ab“, denke ich, hoffe ich, aber natürlich passiert mal so gar nix. Der Motor läuft munter weiter und das versoffene Geplärre auch. Wir alle wissen, wie sinnbehaftet und vor allem zielführend  solche Dialoge sein können…Ich habe mittlerweile vier Mal das Wort „Schlampe“ gehört und meine Augen dürften ob der vor Wut geplatzten Adern im muntersten Rot erstrahlen. Ich kralle die Finger in die Bettdecke und überlege, wie die Chancen wohl so stehen mögen, sich bei Vollmond spontan in einen Werwolf zu verwandeln. Ich sehe mich auf dem Dach des Kackfasses sitzen, die Leichenteile von Schlampe I und II über die Karosserie verteilt. Ich grolle mit einem gurgelnden Bass den Mond an. Zwitschernde Vögel sitzen links und rechts auf meinen Schultern - und das alles so im Stil von "Elliot das Schmunzelmonster" - wenn das noch jemand kennt…Mmmmhhhh….Ich kontrolliere meine Armbehaarung…nee…wie immer. Fingernägel auch. Noch kurz mit der Zunge über die Eckzähne gefahren…nee…scheiße…war nix mit Werwolf….Also dann doch aufstehen und den gepflegten Dialog suchen. Und - oh Graus - die Spießerin geben (die Sache mit dem Werwolf wäre mir - trotz der zu erwartenden Sauerei und dem eher fragwürdigen Image, das mir die Aktion in der Nachbarschaft verschaffen würde - deutlich lieber gewesen). Werwölfe sind schon unwesentlich cooler und vor allem respektierter als Spießer...aber dann halt nicht.
Ich stehe also auf, schlurfe zum Fenster, öffne es weit. Möglichst entspannt und freundlich rufe ich also halblaut: „Ey Mädels, könntet Ihr bitte mal den Motor ausmachen?“ „Ja, gleich!“, kommt es auch ziemlich freundlich zurück. „Dankeeee!“
TOP! Ich kann's kaum glauben! Ich klopfe mir selber auf die Schulter. Na guck, das war ja mal einfach! FREU! Man muss den Leuten nur freundlich begegnen und nicht direkt pöbeln. Dann klappt das auch. Zufrieden und auch ein wenig stolz lege ich mich wieder ins Bett. Na, denn…ich warte also gespannt darauf, dass das Motorengeräusch endlich erlischt. Am Arsch. Stattdessen nimmt auch die Pöbelei zwischen Schlampe I und Schlampe II wieder an Fahrt auf. Ich höre mir das Ganze weitere zwei Minuten an, bis ich mich erneut zum Fenster aufmache, diesmal deutlich entschlossener - um mich schon mal in die richtige Stimmung zu bringen. Ich reiße es auf und rufe ziemlich energisch:“EY! Jetzt macht mal endlich BITTE den scheiß Motor aus!“
Schlampe I guckt mich an. „Maaaaa…..! Wir parken gerade ein!“
„Nee, klar, seh ich! Da bewegt sich gar nix. Und in welche imaginäre Parklücke überhaupt (glaube ich ernsthaft, dass die beiden mit dem Wort was anfangen können?!)? Jetzt macht bitte endlich den Motor aus!“
„Ma, geh ins Bett!“
„Würd ich ja gerne, aber ich kann nicht schlafen, weil der KACK Motor läuft!“ Auch schön, dass ich den schuldlosen Motor mit Worten wir "kack" oder "scheiß" beschimpfe und den Schlampen nicht sage, dass sie verdammte Schlampen sind und ihren Schlampenkram gefälligst woanders klären sollen. Im nächsten Leben dann vielleicht.
„Halt die Fresse!“
Aaaaaha. Der Klassiker. Ich überlege, ob es tatsächlich das erste Mal sein könnte, dass mir das jemand gesagt hat. Die Wahrscheinlichkeit ist relativ hoch, denn meistens halte ich sie ja auch und muss daher nicht noch zusätzlich darauf hingewiesen werden. Hmpf. Neuer Versuch:“Einmal kurz den Schlüssel umdrehen, dann ist der Motor aus. WO ist das Problem?“
„Wo ist DEIN Problem?“
….
So müssen sich Eltern fühlen, die mit ihrer degenerierten Brut diskutieren ("Mama, darf ich ein Snickers?" "Nein, du bist zu fett." langes, nachdenkliches Schweigen. Dann: "Darf ich dann vielleicht ein Mars?").
Vielleicht sollte ich einfach sagen:“Ich hab’ zuerst gefragt.“ Stattdessen hole ich tief Luft und lege den Sachverhalt erneut dar, während ich die Augen verdrehe und natürlich weiß, dass dies zu nichts führen wird:“Mann, MEIN Problem ist, dass ich nicht schlafen kann, weil ihr den scheiß Motor laufen lasst……dann ruf ich halt die Polizei.“ Innerlich schäme ich mich für den letzten Satz. Aber was soll man machen? Kurz schweifen meine Gedanken ab: Wir hatten in der Mittelstufe mal eine Zeit, da haben wir Luftpumpen abgesägt und an einem der beiden offenen Enden den abgeschnittenen Finger eines Gummihandschuhs befestigt. Damit haben wir dann Erbsen oder Maiskörner auf andere Mitschüler geschossen. Notiz für mich: unbedingt noch mal sowas basteln und im Schlafzimmer deponieren. Und sollten Luftpumpen ausverkauft sein, tut's sicherlich auch ein Luftgewehr...macht auch optisch deutlich Eindruck.
In der Zwischenzeit wieder Schlampe I:“Na dann RUF doch die Polizei! …ÖKOFOTZE!“
What the...?! Ich denke, ich höre nicht richtig. DAS ist definitiv Premiere! Da muss ich nicht lange nachdenken. Ich merke wie ich jetzt RICHTIG anfange zu kochen. Tatsächlich nehme ich mein Telefon in die Hand und gebe energisch die 110 ein, wähle aber noch nicht. Ich denke:“Bis die hier sind, ist das Kackfass samt Schlampenclique weg.“ Trotzdem überlege ich ein paar Minuten, während ich unentschlossen auf das Handydisplay starre. Und dann höre ich, wie ein Motor aufheult und der Wagen tatsächlich wegfährt. Ich schaue ihm nach. Ohne Licht. „Hoffentlich braten die voll in einen Baum rein.“ Kurz nachdem ich diesen Gedanken zu Ende denke, fällt mit auf, dass ich dann wohl im Falle eines Falles Erste Hilfe leisten müsste.....welch ein Dilemma. Just in diesem Moment schaltet die Fahrerin das Licht ein und so entfernt sich das Kackfass samt der beiden Schlampen beleuchtet aus meiner Sichtweite. Mir fällt ein Stein vom Herzen. 
Eingeschlafen bin ich nach der Episode dann so gegen sechs, so geladen war ich.
Und so sehr ich mich zuerst über die „Ökofotze“ geärgert habe, so amüsant finde ich das Wort mittlerweile.
Und: abgesägte Luftpumpen sind was für Kinder, die sich vom Taschengeld nix spaßigeres leisten können...es wird definitiv ein Luftgewehr...

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